Durch den Raum springen

zuletzt bearbeitet am 25.4.2023, Lesezeit etwa 2 Minuten

Die 1 als Anfang oder als Ende?

Durch den Raum springen

Ich erinnere mich sehr gut: ich sitze nicht weit entfernt vom Atlantik. Ein sonniger Tag, angenehm warm, aber nicht zu heiß. Es ist Januar. Im Süden Europas lässt es sich gut aushalten.

Ich sitze vor meinem kleinen Bus auf dem Boden, den Bass auf dem Schoß. Vor mir ein Stapel Blätter. Ich lese „The Cure - Lovesong“. Die Noten habe ich mir rausgeschrieben. Zumindest, soweit ich sie glaube, gehört und erkannt zu haben.

Doch es sind nicht die Töne, mit denen ich zu kämpfen habe. Es ist der Rhythmus. Es sind zu viele Noten in zu kurzer Zeit, dazwischen eine Pause eingebaut.

So sehr ich mich auch bemühe, es flutscht nicht. Es ist zu wenig Takt übrig für die letzten Töne. Es ist zum Verzweifeln.

Ich probiere einen neuen Ansatz. Ich denke nicht vom Beginn des Taktes her, sondern von dessen Ende. Ich konzentriere mich auf die letzten Töne und sehe sie als Einleitung für den nächsten Takt. Eine Vorankündigung. Ein freundlicher Applaus für die nächste 1.

Es ist ein gedanklicher Wechsel. Doch er verändert sofort mein Spiel. Plötzlich gelingt, woran ich über Stunden gescheitert bin.

Eine längst vergessen geglaubte Episode aus meinen Anfangstagen des Bass-Spielens.

Und dann stoße ich auf StichMethod Guitar. Der Gitarrenlehrer Ian Stich erklärt darin einen Teilaspekt des Solo-Spieles von David Gilmour.

Er schildert einen nächtlichen Traum und ein daraus entstandenes Gedankenmodell.

Ian Stich beschreibt sein eigenes Solo-Spiel auf der Gitarre. Der neue Akkord ist angesagt. Es ist, als betrete er einen Raum. Von da aus tänzelt er durch den Raum, um den nächsten Raum (den nächsten Akkord) zu erreichen. So spielt er sein Solo von Raum zu Raum (Akkord zu Akkord).

David Gilmours Spiel beschreibt er ganz anders. Gilmour stehe vor der Tür. Dann springe er durch den Raum, renne, hüpfe, drehe sich, pausiere, sprinte, um zum Abschluss den nächsten Akkord, also die neue 1, zu erreichen.

Er betrachte den neuen Takt nicht als Ausgangspunkt, sondern als Ziel seines Spieles.

Es ist eine andere Art, Musik und Akkorde zu betrachten. Plötzlich ändert sich das Spiel auf der Gitarre, obwohl es die gleichen Noten sind, die wir erklingen lassen. Unser veränderter Blickwinkel ändert die Musik.

Musik ist mehr als Noten auf einer Tonleiter. Es ist eine Betrachtung, ein Standpunkt.

Musik ist Philosophie.

Euer Bass