Lächelnde Qual

zuletzt bearbeitet am 8.3.2020, Lesezeit etwa 3 Minuten

Üben, üben, üben…

Lächelnde Qual

Meine Fingerkuppen brennen. Immer wieder rutsche ich die eine Saite meines Basses hinauf, hebe den Finger an, setze ihn vorsichtig auf eine andere Saite und rutsche sie hinunter.

Der Klang aus meinem Basslautsprecher entschädigt ein wenig für die Schmerzen in meinen verkrampften Schultern. Ich korrigiere meine Haltung, versuche, den Rücken gerade zu machen, Schultern nach hinten.

Seit fast drei Stunden über ich für heute schon dieses eine Lied. Der Schlagzeug-Rhythmus aus meiner Smartphone-App treibt mich mal mit 80 BPM an, dann mit 120 BPM.

Die Sonne scheint, ich spüre sie im Nacken. Es ist Anfang März und doch hat es 25 Grad. Ich schwitze dank der Sonne an Portugals Küste.

Ich ignoriere die fragenden Blicke der Nachbarn. Manche machen selbst Musik, sprechen mich mitten in meiner Übung an, auf die ich mich so sehr konzentrieren muss.

Ich lasse mich auf keine Gespräche ein. Lehne die Angebote, gemeinsam mit einer Mundharmonika-Spielerin und einem Banjo-Profi zu jammen, gequält lächelnd ab.

Ich will dieses Lied endlich fehlerfrei spielen können.

Seit fast 6 Monaten übe ich schon dieses Stück. Ich habe mir Videos angeschaut, Tabs abgeschrieben, um dann festzustellen, dass sie nicht annähernd die Noten beschreiben, die in dem Originallied gespielt werden.

Ich habe fast täglich dieses eine Lied geübt. Während andere vor ihren Wohnwagen saßen und ihren kühlen Weißwein genossen haben. Oder in der Bar ihr Bier. Oder im Wohnmobil die neueste Ausgabe der Rosenheim Cops angeschaut und dabei ihr Abendessen genossen haben.

Meine Finger verknoten sich. Meine Bewegungen werden ungenau, schlampig.

Ich lege den Bass beiseite. Schließe die Augen. Ein paar Augenblicke nur.

Ich höre Gelächter. Es kommt aus der Bar. Die Menschen sitzen zusammen. Lachen. Feiern.

Ja, manchmal würde ich auch gerne einfach den Bass beiseitelegen, entspannen, feiern gehen. Ein Bierchen trinken. Oder nichts tun, einfach am Strand liegen.

Aber ich will bei der nächsten Wannabees-Probe nicht versagen. Ich will das Lied spielen können.

Der Gedanke, dass die anderen Wannabees nicht einmal auf den Gedanken kommen, wie viel Energie und Mühe ich in das Lernen gesteckt haben, treibt mich an.

Mein Spiel soll leicht aussehen. Als könne jeder Laie diesen Bass-Part spielen. Ich will lächeln, während meine Finger die Saiten auf- und abgleiten, die richtigen Noten treffen.

Ich will entspannt sein, alles getan haben. Ich weiß, jede Minute, die ich jetzt investiere, wird sich in Zukunft hundertmal für mich lohnen. Ich werde nicht nur besser spielen können, ich werde auch viel Spaß dabei haben.

Aber dafür muss ich jetzt etwas tun. Auch wenn andere Versuchungen locken.

Ich öffne die Augen. Greife den Bass. Und übe.

Mögen die anderen Gäste für mich mitfeiern.

Euer Bass